Finanzskandale überschatten deutsche Ukraine-Hilfe

In den vergangenen Wochen hat die deutsche Regierung der Ukraine insgesamt rund 15,1 Milliarden Euro an Finanzmitteln für zusätzliche Militärhilfe für das laufende Jahr und die nächsten zwei Jahre verweigert. Aber wie lässt sich dies rechtfertigen und was sind die möglichen Gründe dafür?

11 Minuten Lesezeit
Zelenskyy and Merz are talking
Selenskyj und Merz unterhalten sich während eines Treffens in Kopenhagen.Bild: The Presidential Office of Ukraine

Um einen neuen Impuls zu schaffen und der Ukraine neue Hoffnung zu geben, setzt sich Deutschlands Bundeskanzler Friedrich Merz aktuell sehr für die Bereitstellung eines EU-Kredites in Höhe von etwa 140 Milliarden Euro ein.

Die in der EU eingefrorenen russischen Vermögenswerte sollen als Sicherheit dienen. Er würde unter anderem zusätzliche immense Investitionen in die ukrainische Rüstungsindustrie, neue Verträge mit Firmen wie Rheinmetall und BAE Systems, aber auch einen nicht unerheblichen Teil anderer verteidigungsrelevanter Ausgaben der ukrainischen Regierung im kommenden Jahr absichern und finanzieren.

Während einige den Vorstoß von Merz als Beweis der Führung Deutschlands in Europa ansehen, sehen andere darin eher ein Ablenkungsmanöver. So ist es zumindest wahrscheinlich, dass er für die Bereitstellung des Kredites alternative Motive hat.

Begrenzte Militärhilfe über den Staatshaushalt

Vor etwa einem Monat gab Sebastian Schäfer, Sprecher für Haushaltspolitik für die Partei Bündnis 90/Die Grünen, mir gegenüber auf X (ehemals Twitter) bekannt, dass die Haushälter der Regierungskoalition es abgelehnt hätten, die bereits geplante Militärhilfe für die Ukraine im laufenden Jahr um weitere 4,5 Milliarden Euro aufzustocken.

Sebastian Schäfer im Bundestag
War bereits persönlich in der Ukraine – Sebastian Schäfer im Bundestag | Bild: DBT / Leon Kügeler / photothek

Entsprechende Mittel, welche Deutschlands Militärhilfe von etwa 8,3 Milliarden Euro auf etwa 12,8 Milliarden Euro angehoben hätten, wollten die Grünen vor wenigen Wochen über einen Antrag sichern.

Dieser wurde jedoch geschlossen von sämtlichen anwesenden Parteien abgelehnt. Keine Woche später veröffentlichte die BILD exklusiv weitere brisante Details.

Zusätzlich zu den bereits zuvor öffentlich vielfach diskutierten 9,0 Milliarden Euro Militärhilfe pro Jahr ab 2026, hatte das deutsche Verteidigungsministerium für die beiden kommenden Jahre einen Mehrbedarf in Höhe von insgesamt etwa 10,6 Milliarden Euro angemeldet.

Doch obwohl das Verteidigungsministerium wohl am besten wissen sollte, wie viel Geld wirklich für die Verteidigung der Ukraine nötig ist, setzte sich das Finanzministerium durch und machte den Plänen von Pistorius und Co. einen Strich durch die Rechnung.

Insgesamt verweigerte die Merz-Regierung der Ukraine damit im laufenden Jahr und in den kommenden beiden Jahren etwa 15,1 Milliarden Euro an militärischer Unterstützung.

JahrMittel (gefordert)Mittel (bewilligt)Differenz
2025ca. 12,8 Mrd. €ca. 8,3 Mrd. €ca. –4,5 Mrd. €
2026ca. 15,8 Mrd. €9,0 Mrd. €ca. –6,8 Mrd. €
2027ca. 12,8 Mrd. €9,0 Mrd. €ca. –3,8 Mrd. €
Detaillierte Auflistung der geforderten und bewilligten Mittel für die Jahre 2025 – 2027

Angeblich kein Bedarf?

Doch warum entschied sich die Regierung gegen die Bereitstellung der Mittel? Schließlich porträtierte sich bereits die Scholz-Regierung immer als größter Unterstützer der Ukraine in Europa und seitdem Friedrich Merz an der Macht ist und die USA unter Donald Trump nur noch sehr begrenzt bilaterale Unterstützung leisten, lässt auch die Merz-Regierung kaum eine Gelegenheit aus, um zu betonen, dass man inzwischen von allen Ländern der Welt am meisten für die Ukraine tue.

Auf Anfrage gab das Büro von Sebastian Schäfer mir gegenüber bekannt, dass die Regierungskoalition in der Bereinigungssitzung zum Haushalt 2025 darauf hinwies, dass keine weiteren Bedarfe seitens der Ukraine kommuniziert wurden und daher keine zusätzlichen Gelder notwendig seien.

Ähnlich wird es auch in dem BILD-Artikel beschrieben, in dem es um die Mittel für die militärische Unterstützung der Ukraine in den Jahren 2026 und 2027 geht.

Doch dass dieser Grund nicht mehr als eine billige Ausrede ist, dürfte wohl jedem klar sein, der sich in den vergangenen Monaten auch nur halbwegs mit dem Thema auseinandergesetzt hat.

So hat die Ukraine laut Präsident Selenskyj und anderen ukrainischen Offiziellen alleine durch den Wegfall der meisten US-Hilfen über den PURL-Mechanismus einen Zusatzbedarf in Höhe von mindestens 12 Milliarden Euro pro Jahr, welcher von anderen Partnern getragen werden muss.

Patriot Startgerät der Bundeswehr
MIM-104 Patriot-Lenkflugkörper wie diese werden nun über den PURL-Mechanismus erworben | Bild: Bundeswehr/Lars Koch

Wenn die Bundesregierung sich bereit erklären würde, jährlich ein Viertel des minimalen Gesamtbedarfs zu finanzieren, müsste man die Ukraine-Hilfen bereits um drei Milliarden Euro anheben.

Tut man das nicht und finanziert trotzdem einen entsprechenden Anteil über den PURL-Mechanismus, würde man automatisch andere bilaterale Hilfen beschränken.

Tatsächlich ist der Wegfall der meisten US-Hilfen auch das Hauptargument der Grünen für die Bereitstellung der 4,5 Milliarden Euro extra im laufenden Jahr. »Diese Mittel wurden nicht materialgenau beantragt, sondern an dem Wegfall der US-Unterstützung bemessen«, so das Büro von Sebastian Schäfer.

Der bereits genannte BILD-Artikel liefert zudem ein weiteres Beispiel, das die Argumentation der Bundesregierung ins Wanken bringt.

So zitiert die BILD aus einem Dokument des Verteidigungsministeriums, das Ende August an mehrere Bundestagsabgeordnete versendet wurde: »Zur Einhaltung der Vorgabe von 9 Mrd. Euro wurde für das Jahr 2026 keine zusätzliche, industrielle Unterstützung der Ukraine mit Vertragsschluss 2026 in Verbindung mit Ausgabemitteln 2026 ausgebracht. Darüber hinaus mussten Maßnahmen mit Vertragsschluss 2026 mit Fälligkeit 2027 teilweise gestrichen oder vom Vertragsvolumen her angepasst werden.«

Vereinfacht ausgedrückt schränken die nun bewilligten 9 Milliarden Euro das Verteidigungsministerium dahingehend ein, dass im kommenden Jahr keine zusätzlichen Verträge mit der Industrie abgeschlossen werden können, die noch im selben Jahr bezahlt werden müssten.

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Investitionen in die ukrainische Rüstungsindustrie müssen nun möglicherweise zurückgefahren werden | Bild: 14th Regiment of Unmanned Drones

Ferner musste der Umfang geplanter Maßnahmen – etwa die Lieferung von Munition, schwerem Gerät und Drohnen –, die zwar im kommenden Jahr vertraglich gesichert, aber erst im übernächsten Jahr bezahlt werden sollten, reduziert werden. In einigen Fällen wurden Maßnahmen sogar vollständig gestrichen.

Das vielfach getätigte Argument, dass kein zusätzlicher Bedarf bekannt ist, kann also sowohl durch öffentliche Aussagen ukrainischer Regierungsmitglieder, als auch durch ein internes Dokument einer obersten deutschen Bundesbehörde widerlegt werden.

Ist Angst ein möglicher Grund?

Doch was könnte dann der Grund dafür sein, dass die Bundesregierung den Umfang der militärischen Unterstützung der Ukraine, welche aus dem eigenen Haushalt finanziert werden soll, so enorm einschränkt?

Einen möglichen Grund liefert uns das Berlin Playbook von POLITICO. In der Ausgabe vom 18. September berichteten die Journalisten Hans von der Burchard und Rasmus Buchsteiner mit Verweis auf eigene Quellen, dass in der Bundesregierung die Sorge wachse, noch mehr zum Zahlmeister zu werden, während andere Partner in Europa ihre Beiträge zur Verteidigung der Ukraine nicht deutlich erhöhen können oder auch wollen.

Kann es das sein? Hat die Bundesregierung, simpel ausgedrückt, Angst davor, dass man immer größere Anteile der Ukraine-Hilfen übernehmen muss, während andere Länder weitermachen wie bisher?

Leopard 2A6 21st Mechanized Brigade
Ein von Deutschland gelieferter Kampfpanzer Leopard 2A6 irgendwo in den Wäldern der Ukraine | Bild: 21st Mechanized Brigade

Es wäre jedenfalls nichts Neues. Derartige Überlegungen gab es bereits zu Zeiten von Olaf Scholz. Allerdings gilt heute noch das Gleiche wie damals.

Die kräftige und umfangreiche Unterstützung der Ukraine ist und bleibt alternativlos und jeden Euro, den wir heute sparen wollen, werden wir wahrscheinlich später doch noch für die Ukraine ausgeben – nur dann eben zu spät.

Abgesehen davon gibt es diverse Länder, welche diese Überlegungen bereits seit Jahren in den Vordergrund stellen könnten, es aber nicht tun, weil sie genau wissen, worauf es ankommt.

Dänemark zum Beispiel investiert laut dem bekannten Ukraine Support Tracker satte 2,9 % des BIP in die bilaterale Unterstützung der Ukraine. Dicht gefolgt von Estland und Litauen, welche beide mit 2,8 % und 2,2 % prozentual gesehen wesentlich mehr Geld aus der Staatskasse in die Verteidigung der Ukraine investieren als Deutschland, welches bei 0,6 % liegt.

Selbst wenn man die Beiträge Deutschlands zur EU-Hilfe einbezieht, gibt die Bundesregierung nur 1,0 % des BIP für die Unterstützung der Ukraine aus – auch wenn dies in absoluten Zahlen betrachtet weltweit den größten Betrag darstellt.

Darüber hinaus sollte nicht vergessen werden, dass die Regierung unter Bundeskanzler Friedrich Merz in einer wesentlich besseren Position ist, um Ausgaben zu erhöhen, als es die vorherige Regierung war.

So ebnete noch die Vorgängerregierung den Weg für die Ausnahme der Ukraine-Hilfen ab 1 % des BIP von der Schuldenbremse, weswegen es ohne große Probleme möglich wäre, einige Milliarden Euro pro Jahr zusätzlich für die Unterstützung der Ukraine aufzubringen.

Rheinmetalls Schützenpanzer Lynx
Mit zusätzlichen Mitteln könnte ein Vertrag über die Produktion des Schützenpanzers Lynx von Rheinmetall abgeschlossen werden, wie dies bereits seit einiger Zeit gefordert wird | Bild: Rheinmetall

Abschließend lässt sich nur Folgendes sagen: Das sich die Bundesregierung, insbesondere der Bundeskanzler Friedrich Merz, so energisch für die Bereitstellung des 140-Milliarden-Euro-Kredites einsetzt, ist äußerst wünschenswert und wiegt schwer.

Allerdings sollte man zu keinem Zeitpunkt denken, dass man deswegen die Bereitstellung ausreichender bilateraler Unterstützung vernachlässigen könne.

Hier begeht Friedrich Merz aktuell einen schwerwiegenden Fehler, der auf lange Sicht möglicherweise unzähligen Menschen in der Ukraine das Leben kosten könnte und dem deutschen Steuerzahler noch teuer zu stehen kommen könnte.


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