Deutsche loitering munition für die ukrainische Verteidigung

Nachdem die Lieferung von loitering munition bei der deutschen Unterstützung für die Ukraine in den ersten drei Kriegsjahren kaum eine Rolle gespielt hat, nimmt diese nun Fahrt auf. Nachdem Helsing seit Anfang des Jahres erste Lieferungen durchgeführt hat, steht das Münchner Rüstungsunternehmen kurz vor der Umsetzung eines zweiten Auftrags.

9 Minuten Lesezeit
Helsing HX-2
Eine HX-2 bei einem TestflugBild: Helsing

Um der Ukraine in ihrem Abwehrkampf gegen die russischen Invasoren beizustehen, ist Deutschland in den meisten Bereichen der militärischen Hilfe sehr aktiv, unterstützt die Ukraine unter anderem umfangreich mit Luftverteidigung, Artillerie und gepanzerten Fahrzeugen.

Eine der wenigen Ausnahmen ist die Bereitstellung von sogenannter „loitering munition“ – also Drohnen, welche beispielsweise mit einem RPG-7 Gefechtskopf, diversen Sprengstoffen oder einem anderen Wirkmittel ausgestattet werden, innerhalb eines Bereiches nach geeigneten Zielen Ausschau halten und diese anschließend bekämpfen.

Das Identifizieren und Bekämpfen eines Ziels erfolgt je nach System entweder vollständig manuell über den Drohnenpiloten, teilautonom oder vollautonom (Identifikation).

In den ersten drei Kriegsjahren führte Deutschland keinerlei Lieferungen solcher Systeme durch, während diverse Länder wie Estland oder Großbritannien bereits Millionen in die Beschaffung solcher Systeme gesteckt hatten und diese für die Ukraine tatsächlich unerlässlich sind.

Es kommt Bewegung in die Sache

Immerhin: Bereits im Juni 2024 wurde eine solche Lieferung während des Besuches des ukrainischen Präsidenten in Deutschland öffentlich zugesagt. Weitere fünf Monate vergingen, bis BILD Details der Zusage öffentlich machte und sich Verteidigungsminister Boris Pistorius dazu im gleichen Artikel äußerte.

Angekündigt wurde die Lieferung von 4.000 HF-1 loitering munitions, deren tatsächliche Lieferung (600 Stück) aber erstmals zwei Monate später im Januar 2025 durch die Bundesregierung bestätigt wurde.

Pistorius inspiziert eine HF-1 während eines Besuchs in der Ukraine
Verteidigungsminister Pistorius lässt sich von Helsing-Co-CEO Scherf die HF-1 in der Ukraine erklären | Bild: Anton Shevelov

Bereitgestellt werden die HF-1 durch das Münchener Rüstungsunternehmen Helsing, welches die AQ 100 Bayonet des Unternehmens Terminal Autonomy einkauft und diese anschließend innerlich grundlegend modifiziert, beispielsweise mit eigener Elektronik und Software ausstattet, um die Drohne unter anderem resilienter gegen elektronische Gegenmaßnahmen des russischen Militärs zu machen.

Wie ein Unternehmenssprecher mir gegenüber mitteilte, hat Helsing mittlerweile deutlich über 1.000 Stück an die ukrainische Armee geliefert.

Das Feedback fällt bislang eher gemischt aus. So sorgte zuletzt ein Bloomberg-Artikel für Aufsehen, in dem mehrere Personen, welche sich detailliert mit der HF-1 befasst haben, unter anderem die KI-Software Altra, die ihrer Meinung nach billige Bauweise und die dafür vergleichsweise hohen Beschaffungskosten kritisieren.

Demgegenüber steht aber auch wieder positives Feedback. So gab Maxim Sheremet, der Gründer einer in Kyjiw ansässigen Forschungsstelle zur Verbesserung der an der Front eingesetzten unbemannten Systeme gegenüber Bloomberg bekannt, dass es zwar tatsächlich Probleme mit der AI-Software Altra gibt, diese aber dennoch ausgesprochen effektiv sei.

Ebenfalls bestätigen mehrere Nutzer, dass die HF-1 im Gegensatz zu herkömmlichen FPV-Drohnen eine wesentlich größere Reichweite hat, man also etwa Ziele bekämpfen kann, welche man mit vielen günstigeren Drohnen nicht erreichen könnte. Auch können Drohnenteams so sicherer operieren, da diese nicht so nah an die Front heranmüssen.

Zu den mehrfach kritisierten hohen Beschaffungskosten kann ich leider nicht viel sagen, da ein Unternehmenssprecher mir gegenüber keine genaue Auskunft diesbezüglich geben wollte.

Eine HF-1 nach dem Start von einem Startkatapult
Eine HF-1 kurz nach dem Start über ein Startkatapult | Bild: Anton Shevelov

Nur so viel dazu: Am Beispiel der Beschaffung der FFG APCs und FFG MRAPs sieht man, dass es für das deutsche Verteidigungsministerium nicht unüblich wäre, höhere Preise für Produkte zu bezahlen, sofern sie von einem deutschen Unternehmen produziert und bereitgestellt werden, obwohl es günstigere Alternativen gibt, welche von vergleichbarer, gleicher oder besserer Qualität sind.

Weitere Lieferungen werden vorbereitet

Neben der HF-1 wird die Ukraine in Zukunft auch auf ein anderes Modell aus dem Hause Helsing zurückgreifen können – der HX-2, bei der es sich um eine leistungsstärkere Eigenentwicklung handelt.

Laut Helsing hat die HX-2 eine Reichweite von bis zu 100 Kilometern und ist genauso wie die HF-1 mit einem Altra-AI-Chip ausgestattet, der die Resilienz der Drohne gegen elektronische Gegenmaßnahmen erhöht.

Am 13. Februar 2025 kündigte das Münchener Rüstungsunternehmen an, einen neuen Auftrag erhalten zu haben, der die Produktion und Lieferung von 6.000 dieser loitering munitions an die Ukraine vorsieht.

Diese Pressemeldung wurde zu einer Zeit veröffentlicht, in der die Bundesregierung die Mittel für die Beschaffung von Rüstungsgütern im Jahr 2025 bereits seit Monaten vollständig gebunden hatte. Mit anderen Worten: Es war längst kein Geld mehr für einen solchen Auftrag da.

Daher berichtete die BILD noch am selben Tag, dass die Beschaffung der HX-2 Teil des Unterstützungspakets im Wert von etwa drei Milliarden Euro sei, über das zu dem Zeitpunkt der Ankündigung noch intensiv debattiert und verhandelt wurde.

HX-2
Eine von Helsing hergestellte HX-2 loitering muntion | Bild: Helsing

Eine Lieferung an die Ukraine sollte also erst stattfinden, wenn die Finanzierung durch die Bundesregierung gesichert ist.

Einen Tag nach der Veröffentlichung des Artikels und meiner anschließenden Berichterstattung über die Finanzierung der Drohnen hatte ich glücklicherweise die Möglichkeit, mich mehr als eine halbe Stunde lang mit einem Sprecher von Helsing über das Projekt zu unterhalten.

Während des Gesprächs erfuhr ich, dass der ursprüngliche Vertrag mit dem ukrainischen Verteidigungsministerium bereits eine Option enthielt, zusätzlich zu den 4.000 fest in Auftrag gegebenen Drohnen weitere 6.000 Drohnen bereitzustellen. Diese Option wird wirksam, sobald »eine verbindliche Finanzierungszusage der Bundesregierung vorliegt«.

Ebenfalls gab man mir gegenüber bekannt, dass Helsing mit der Produktion der HX-2 in Vorleistung geht, also man damit begonnen hat die zugesagten Drohnen bereits auf eigene Kosten in der kürzlich eröffneten Resilience Factory (RF-1) zu produzieren, um nach einer Finanzierungszusage schnellstmöglich mit den Lieferungen zu beginnen.

Genaue Details wie die Anzahl bereits produzierter HX-2 wollte man mir aus offensichtlichen Gründen aber nicht nennen.

Resilience Factories HX-2
Der Blick in die von Helsing eröffnete RF-1 | Bild: Helsing

Die Frage der Finanzierung

Der aufmerksame Leser dürfte bei der Aussage, dass eine Lieferung durchgeführt wird, sobald »eine verbindliche Finanzierungszusage der Bundesregierung vorliegt«, etwas stutzig geworden sein.

Schließlich hat der Haushaltsausschuss des Bundestags nach monatelanger Diskussion aller Parteien die zusätzlichen Milliarden für die Ukraine-Hilfe freigegeben, wodurch Projekte wie die HX-2, die Teil des drei Milliarden Euro Pakets sind, eigentlich eine verbindliche Finanzierungszusage bekommen müssten.

Bei Helsing wollte man sich dazu aus naheliegenden Gründen nicht äußern, allerdings hörte ich aus Rüstungskreisen, dass dies eher mit administrativen Schwierigkeiten aufseiten des Verteidigungsministeriums und es nichts mit Helsing als Vertragspartner zu tun hat.

Dies wird beispielsweise auch dadurch untermauert, dass seit der Freigabe der Gelder durch den Haushaltsausschuss des Bundestags kein einziges Rüstungsunternehmen zusätzliche Aufträge mit Lieferziel Ukraine öffentlich gemacht hat.

Offenbar wartet man auch bei Rheinmetall, Diehl Defence, Hensoldt und anderen Firmen noch auf das dringend benötigte und lang erwartete Geld.

Allerdings soll es sich um keine fundamentalen Schwierigkeiten handeln, sodass ich davon ausgehe, dass das Geld zeitnah den Besitzer wechselt, wodurch die Lieferung der 6.000 HX-2 an die Ukraine bald Realität werden dürfte.

10.000 Drohnen insgesamt – es ist ein Anfang! In Anbetracht der bald wechselnden Regierung, welche bei Verteidigungsausgaben und Ukraine-Hilfen einen viel größeren finanziellen Spielraum hat, halte ich es aber für unrealistisch, dass es auf absehbare Zeit bei nur 10.000 in Auftrag gegebenen loitering munitions bleibt, wenn der russische Angriffskrieg in diesem Jahr kein Ende findet.

Bis neue Aufträge vergeben werden, bleibt uns aber nichts weiter übrig als zu hoffen, dass die ukrainische Armee die bereits vertraglich gebundenen HF-1 und HX-2 effektiv einsetzt und möglichst viele russische Hochwertziele angreifen und zerstören kann.


Wenn dir dieser Beitrag gefallen hat, folge mir doch auf X, Bluesky oder Telegram. Wenn du magst, kannst du mir auch ein Trinkgeld über Ko-fi dalassen.

Diesen Artikel teilen
Keine Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert