Taurus KEPD-350: Ein Ausblick auf eine mögliche Lieferung an die Ukraine

16 Minuten Lesezeit
Ein Taurus KEPD-350 Marschflugkörper über einem Gewässer während einer ÜbungBild: Bundeswehr

Kaum ein anderes Waffensystem wurde während des vollständigen Einmarsches Russlands in die Ukraine so lange in der Öffentlichkeit im In- und Ausland diskutiert wie der Marschflugkörper Taurus KEPD-350.

Während Bundeskanzler Olaf Scholz seine Entscheidung, es der Ukraine nicht zur Verfügung zu stellen, als Beweis für seine Besonnenheit ansieht, diesen Krieg nicht eskalieren zu lassen, sieht die Mehrheit der Menschen im Ausland, vor allem in der Ukraine, dies als Beweis dafür, dass Scholz sich von Angst leiten lässt und er in dieser Hinsicht niemandem vertraut.

Damit hat er sich sogar gegen einen bedeutenden Teil der deutschen Regierung gestellt, denn der Vizekanzler, der Außenminister, der Finanzminister und andere hatten sich öffentlich für eine Lieferung an die Ukraine ausgesprochen.

Lediglich der Verteidigungsminister, der derselben Partei wie Scholz angehört, verwies auf Nachfrage auf Fragen der nationalen Sicherheit. Dies ist jedoch keine wirkliche Solidarität mit der Entscheidung von Scholz.

Eine Entscheidung, die schon bald wieder rückgängig gemacht werden könnte. Heute finden in Deutschland Bundestagswahlen statt, und die CDU/CSU, die sich für Friedrich Merz als Spitzenkandidaten entschieden hat, liegt derzeit mit großem Abstand an der Spitze.

Er ist ein leidenschaftlicher Kritiker der Ukraine-Politik von Scholz und setzt sich seit Monaten, teilweise sehr intensiv, für die Lieferung von Taurus KEPD-350 an die Ukraine ein. Ein Engagement, das er auch während seines Wahlkampfes in der vergangenen und in dieser Woche mehrfach wiederholt hat.

Letztendlich wird die Ukraine sehr wahrscheinlich in der Lage sein, den begehrten Marschflugkörper gegen russische Hochwertziele einzusetzen. Doch wie wird eine Lieferung tatsächlich ablaufen? Wie sehen die Umstände aus, wann wird eine Lieferung erfolgen und mit wie vielen Marschflugkörpern kann die Ukraine rechnen?

Taurus-Marschflugkörper in der Luft
Taurus KEPD-350 kurz vor dem Einschlag in das Ziel während einer Übung | Bild: Bundeswehr

Diesen und anderen Fragen werde ich im Laufe dieses Artikels auf den Grund gehen, anhand eines hypothetischen Szenarios, um dies leichter zu erklären.

Die CDU/CSU gewinnt die Wahl, was dann?

Heute finden in Deutschland Wahlen statt. Von 8 bis 18 Uhr können mindestens 59,2 Millionen Wahlberechtigte ihre Stimme abgeben und über die künftige Führung der drittgrößten Volkswirtschaft der Welt entscheiden.

Für unser fiktives Szenario gehen wir nun einfach davon aus, dass die Bundeswahlleiterin in der Nacht zum Montag wie üblich das vorläufige Wahlergebnis bekannt gegeben hat und bereits feststeht, dass die CDU/CSU die Wahl mit den meisten Stimmen gewonnen hat.

Wer nun aber glaubt, dass ab dem nächsten Tag eine neue Regierung in Deutschland an der Macht sein wird, der irrt gewaltig.

Ausgehend von den Umfrageergebnissen der letzten Monate dürfte die CDU/CSU mit einem Vorsprung von etwa 10 Prozentpunkten die meisten Stimmen erhalten, hat aber bei weitem nicht genug Stimmen, um Deutschland in den nächsten vier Jahren allein zu regieren.

Das bedeutet, dass sie mit Friedrich Merz den nächsten Bundeskanzler stellen werden, aber mindestens eine weitere Partei als Koalitionspartner benötigen, um eine Mehrheit im Bundestag zu erhalten.

Theoretisch sind verschiedene Koalitionsmodelle möglich. Eine Koalition nur mit der SPD, nur mit den Grünen, mit beiden zusammen oder eine „Deutschland-Koalition“ aus CDU/CSU, SPD und FDP. Alles hängt davon ab, wer wie viele Stimmen bekommt und wer die magische 5%-Hürde zum Einzug in den Bundestag schafft und wer nicht.

All dies bedeutet aber vor allem eines: Unmittelbar nach der Wahl sind sehr intensive Verhandlungen zu führen, die je nachdem, welche und wie viele Parteien beteiligt sind, sehr lange dauern können.

Zwar findet Ende März die konstituierende Sitzung statt, in der der neu gewählte 21. Bundestag zum ersten Mal zusammenkommt, doch wird Deutschland erst dann offiziell einen neuen Bundeskanzler haben, wenn die Verhandlungen abgeschlossen sind und eine Regierungskoalition gebildet wurde.

Wie ich aus verschiedenen Quellen erfahren habe, wird dies wahrscheinlich im April oder Mai der Fall sein. Bis dahin wird Olaf Scholz jedoch Bundeskanzler bleiben.

Erst nachdem Merz neuer Bundeskanzler geworden ist, kann das von ihm geleitete Kabinett des Bundessicherheitsrates gebildet werden, das sich aus Regierungsmitgliedern wie dem Verteidigungsminister, dem Außenminister, dem Finanzminister und anderen zusammensetzt, und diese Posten müssen erst innerhalb der Regierungskoalition vergeben werden.

Die Bildung des Kabinetts des Bundessicherheitsrates ist notwendig, da es zum Beispiel über Waffenexporte entscheidet, was natürlich auch die Lieferung von Taurus KEPD-350 an die Ukraine betrifft.

Die neue Regierung ist im Amt

Nachdem diese lästigen, aber leider notwendigen bürokratischen Schritte erledigt sind und ich diese hoffentlich so kurz, aber klar wie möglich erläutert habe, können wir uns nun endlich die Taurus-Lieferung selbst näher ansehen.

Friedrich Merz hat bereits mehrfach erklärt, dass er vor einer Entscheidung über die Lieferung von Taurus KEPD-350 an die Ukraine zuerst Großbritannien und Frankreich konsultieren will, da beide Länder bereits einige ihrer eigenen Marschflugkörper geliefert haben, um die militärischen Fähigkeiten der Ukraine in deren Überlebenskampf zu stärken.

Selenskyj signierte einen von Frankreich gelieferten SCALP-EG Marschflugkörper
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj unterzeichnete einen von Frankreich gelieferten SCALP-EG Marschflugkörper | Bild: The Presidential Office of Ukraine – CC BY-NC-ND 4.0 International

Es ist jedoch so gut wie ausgeschlossen, dass sich beide Länder gegen eine Lieferung aussprechen und die Dialoge lange dauern werden.

Dennoch wäre Friedrich Merz gut beraten, sich noch während der Regierungsbildung mit Starmer und Macron zu beraten, um möglichst viel Zeit zu sparen.

Nachdem Friedrich Merz als neuer Bundeskanzler sowohl von Großbritannien als auch von Frankreich das „Okay“ erhalten hat, wird er die nächsten Schritte so schnell wie möglich einleiten. Am Ende des Prozesses wird der Bundessicherheitsrat über die Lieferung entscheiden.

Entscheidungen im Bundessicherheitsrat müssen jedoch einstimmig getroffen werden. Deshalb konnte Olaf Scholz als Vorsitzender eine Lieferung immer blockieren.

Das bedeutet, dass nicht nur Merz und seine Partei, sondern auch sein(e) Koalitionspartner die Entscheidung mittragen müssen. Kommt es beispielsweise zu einer Koalition mit der SPD und nur ein einziger SPD-Minister hält an der Linie von Scholz fest, obwohl er im Falle eines Wahlsiegs von Merz höchstwahrscheinlich nicht an der nächsten Regierung beteiligt sein wird, droht ein Debakel.

Es ist jedoch eher unwahrscheinlich, dass so etwas passiert, also sagen wir einfach, dass die Ausfuhr genehmigt wurde. Damit ist es an der Zeit zur Sache zu kommen.

Eine Entscheidung wurde getroffen: Macht es möglich!

Wie bei allen westlichen Waffensystemen, die an die Ukraine geliefert werden sollen, wird es aufgrund verschiedener Faktoren einige Zeit dauern, bis die Ausrüstung tatsächlich in der Ukraine ankommt.

Im Fall von Taurus sind es vorwiegend zwei Faktoren, die bestimmen, wie schnell eine Lieferung durchgeführt werden kann. Die Ausbildung der ukrainischen Soldaten und die Integration des Marschflugkörpers in eine Trägerplattform.

Bevor wir uns beide Faktoren anschauen, möchte ich darauf hinweisen, dass es natürlich noch weitere, kleinere Faktoren gibt, wie die Unterstützung bei der Ausbildung durch Großbritannien, die Einsatzplanung und mehr, die ich aber nicht beleuchten kann und will, da es viel zu theoretisch, zu komplex ist und mir, ehrlich gesagt, auch das nötige Fachwissen fehlt.

Beginnen wir also mit der Ausbildung ukrainischer Soldaten. Die Ausbildung ist in verschiedene Bereiche unterteilt und würde teilweise von der deutschen Industrie und teilweise von der deutschen Luftwaffe durchgeführt.

Nach Angaben von Joachim Knopf, Geschäftsführer von TAURUS Systems, würde die Ausbildung der ukrainischen Soldaten realistischerweise drei bis vier Monate dauern, was bedeutet, dass sie frühestens im August oder September 2025 abgeschlossen sein würde.

Neben der Ausbildung der ukrainischen Soldaten muss auch die Integration des Marschflugkörpers Taurus KEPD-350 in eine Trägerplattform durchgeführt werden.

Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Ukraine derzeit kein Kampfflugzeug einsetzt, in das bereits Taurus KEPD-350 integriert ist. Dies wären der Tornado, der von der deutschen Luftwaffe eingesetzt wird, aber auch die EF-18 und F-15K, die von den spanischen und südkoreanischen Luftstreitkräften verwendet werden.

Ein Taurus-Marschflugkörper kurz vor dem Abschuss während einer Übung
Ein Taurus KEPD-350 Marschflugkörper, montiert auf einem PA-200 Tornado | Bild: Bundeswehr/Andrea Bienert

Das Argument, dass die Ukraine einfach mit anderen Kampfflugzeugen beliefert werden könnte, in die Taurus bereits integriert ist, klingt zwar zumindest theoretisch gar nicht so falsch, aber es spricht viel mehr dagegen als dafür.

Werfen wir also einen Blick auf die Kampfflugzeuge, die bereits bei der ukrainischen Luftwaffe im Einsatz sind. Nach Aussagen verschiedener Experten und der Industrie dürfte die Wahl entweder auf die Su-24 oder die F-16 fallen.

Eine weitere Option, auf die mich der Experte Fabian Hoffmann von der Universität Oslo aufmerksam gemacht hat, wäre die Integration in die wenigen Mirage 2000, die Frankreich kürzlich geliefert hat.

Diese sind bereits in der Lage, SCALP-EG Marschflugkörper zu starten, und wenn der Taurus in diese Startplattform integriert würde, könnte man durchaus auf eine deutsch-französische Zusammenarbeit hoffen.

Da es sich hierbei jedoch um eine relativ neue Option handelt, mit der sich Experten und die Industrie bisher nicht wirklich auseinandergesetzt haben, zumindest nicht öffentlich, werde ich mich in diesem Artikel auf die Su-24 und die F-16 beschränken.

Obwohl es aufgrund der Anzahl der auszuliefernden F-16 (mehr als 90) langfristig besser wäre, die F-16 für die Integration zu wählen, wird die Wahl wahrscheinlich auf die Su-24 fallen, von der die Ukraine derzeit etwa 10 Stück betreibt.

Die Su-24 war auch die erste Wahl für die Integration der von Großbritannien und Frankreich gelieferten Marschflugkörper Storm Shadow und SCALP-EG.

Während die Integration von Storm Shadow/SCALP-EG in Polen in die Su-24 etwa sieben Monate dauerte, rechnet TAURUS Systems, das diese Aufgabe übernehmen würde, mit etwa sechs Monaten für die Integration von Taurus KEPD-350.

Die Arbeiten an der Su-24 würden also etwa im November 2025 abgeschlossen sein. Bei der F-16 würde es deutlich länger dauern. Laut Knopf wird die Integration voraussichtlich mindestens ein Jahr harter Arbeit in Anspruch nehmen.

Während die Ausbildung der ukrainischen Soldaten und die Integration des Marschflugkörpers in eine Trägerplattform durchgeführt werden, sollten andere kleinere Aufgaben wie eine geringfügige Überholung durch die Industrie gleichzeitig abgeschlossen werden, um anschließend eine schnelle Auslieferung zu gewährleisten.

Um diesen Artikel abzurunden, wollen wir nun einen Blick darauf werfen, mit wie vielen Marschflugkörpern die Ukraine rechnen kann.

Der größte limitierende Faktor für die Anzahl der auszuliefernden Taurus KEPD-350 ist die Tatsache, dass es derzeit keine Aufträge für zusätzliche Taurus-Marschflugkörper für die deutsche Luftwaffe gibt.

Obwohl es mehr oder weniger konkrete Pläne für den Kauf von 600 zusätzlichen verbesserten Marschflugkörpern (Taurus NEO) im Wert von rund 2,1 Milliarden Euro gibt, um den Anforderungen der NATO gerecht zu werden, fehlen noch immer die Mittel zur Realisierung des Projekts.

Das bedeutet, dass Deutschland nach wie vor nur rund 600 Taurus-Marschflugkörper besitzt, von denen weniger als die Hälfte einsatzbereit ist. Zwar wurden zusätzlich 75 JASSM-ER bestellt, diese sind jedoch für die F-35 bestimmt, die erst 2027 in Deutschland stationiert werden sollen.

Taurus ist und bleibt daher auf absehbare Zeit ein unverzichtbarer Bestandteil der Abstandsfähigkeit der deutschen Luftwaffe und damit auch ein unverzichtbarer Bestandteil der NATO-Fähigkeiten zur Abschreckung Russlands.

Zwei Tornado-Kampfflugzeuge
Zusammen mit dem PA-200 Tornado bleibt Taurus ein Schlüsselelement in der Abschreckung gegenüber Russland | Bild: Bundeswehr/Stefan Petersen

Deutschland wird sich daher nicht von einer großen Zahl dieser Marschflugkörper trennen wollen. Optimisten hoffen zwar auf mindestens 200 bis 300 Stück, was etwa der Hälfte der Lieferungen Großbritanniens und Frankreichs entspräche, aber die tatsächliche Zahl dürfte geringer sein.

Ein Gespräch zwischen hochrangigen Bundeswehrangehörigen, die sich auf ein Briefing mit dem deutschen Verteidigungsminister Boris Pistorius vorbereiteten, liefert uns zusätzliche Informationen zu diesem Thema.

Dieses Gespräch wurde von russischen Geheimdiensten im Februar 2024 abgehört und aufgezeichnet und einen Monat später, im März 2024, ins Internet gestellt.

Während des Gesprächs wird erwähnt, dass etwa 100 Marschflugkörper an die Ukraine übergeben werden könnten, dann wäre „Ende Gelände“. Bis zu einem Fünftel davon würden schon allein für die Zerstörung der Krim-Brücke benötigt.

Daher sind die Bestände der Ukraine – je nachdem, welche Ziele, wie viele Ziele und wie oft Ziele angegriffen werden – schon nach wenigen Monaten relativ schnell aufgebraucht.

Man darf jedoch nicht vergessen, dass in Zukunft jederzeit weitere Lieferungen erfolgen können, sobald die Verträge zur Beschaffung neuer Marschflugkörper für die Bundeswehr unterzeichnet sind.

Also, um es zusammenzufassen…

… man sollte beachten, dass mehrere Schritte unternommen werden müssen, bevor eine Lieferung in die Ukraine erfolgen kann. Dies wird wahrscheinlich Ende des Jahres der Fall sein.

Ich möchte jedoch noch einmal darauf hinweisen, dass dies nur ein theoretisches Szenario ist. Der Zeitplan könnte sich um mehrere Monate verschieben, je nachdem, wie lange die Koalitionsgespräche dauern, ob es Probleme bei der Ausbildung der ukrainischen Soldaten oder bei der Integration des Marschflugkörpers gibt und so weiter.

Ich hoffe sehr, dass ich dir mit diesem Artikel ein paar Einblicke geben konnte. Sollte Friedrich Merz tatsächlich der nächste Bundeskanzler Deutschlands werden, bleibt uns nichts anderes übrig, als abzuwarten und das Beste zu hoffen.

Anmerkung der Redaktion: Obwohl in diesem Artikel sehr ausführlich berichtet wird, möchte ich ausdrücklich darauf hinweisen, dass keine Informationen veröffentlicht wurden, die der russischen Regierung nicht schon seit Langem bekannt sind.


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